"Leaky gut": Gestörte Darmbarriere als Treiber für NAFLD und NASH

Prof. Dr. med. Stephan C. Bischoff

Die Darmbarriere spielt eine zentrale Rolle bei der Pathogenese der nicht-alkoholischen Fettlebererkrankung und ist gleichzeitig ein Ansatzpunkt für ihre Therapie. Neue Erkenntnisse berichtet Prof. Dr. med. Stephan C. Bischoff, Institut für Ernährungsmedizin, Universität Hohenheim, Stuttgart.

 

Zu viel, zu fett, zu süß: In den letzten Jahren verdichten sich die Hinweise, dass eine typisch westliche Ernährung nicht nur dick macht, sondern auch eine Dysbiose und einen „leaky gut“ verursacht, der die Entstehung von NAFLD und NASH antreibt.

„Leaky gut“, also durchlässiger Darm, ist ein plakativer Begriff für eine Dysfunktion der Darmbarriere, die mit einer erhöhten Permeabilität der Mukosa einhergeht. Dadurch gelangen vermehrt Bakterien bzw. bakterielle Produkte aus dem Darmlumen ins Blut, die systemisch chronische, niedrig-gradige Entzündungsprozesse auslösen können. Diese sind charakteristisch für viele Erkrankungen, u. a. für metabolische Störungen wie NAFLD.1

In der klinischen Praxis ist es allerdings schwierig, einen „leaky gut“ zu beurteilen. Derzeit gibt es zwei validierte Biomarker, die gut mit der intestinalen Permeabilität korrelieren: Lipopolysaccharid-bindendes-Protein (LBP) im Plasma und Zonulin in den Fäzes. LBP ist ein Maß für die bakterielle Translokation, Zonulin ist ein Protein, das die Tight Junctions im Epithel reguliert.2

 

Fruktose lässt die Darmbarriere schrumpfen

Wie Überernährung und vor allem ein hoher Konsum von Fruktose die Darmbarriere schwächen, ist gut erforscht. Bei Mäusen induziert eine fruktosereiche Diät die Translokation von Lipopolysaccharid (LPS) in die Pfortader, das in der Leber an den Toll-like-Rezeptor 4 bindet und die Produktion von TNF-α auslöst. Folge ist eine niedrig-gradige Entzündung der Leber, die eine Steatose nach sich zieht.3 Neuere Studien bestätigen die zentrale Rolle von Fruktose: Mit westlicher Diät gefütterte Mäuse wurden zwar dick, doch erst in Kombination mit hoher Fruktoseaufnahme kam es zu einem „leaky gut“ mit LPS-Translokation. Diese führte zum Schrumpfen der Mukosadicke um fast die Hälfte. Bei keimfreien Mäusen wurden diese Effekte nicht beobachtet. Das spricht dafür, dass die Fruktose-Effekte auf die Leber zumindest teilweise Mikrobiota-bedingt sind.4

Übergewicht verursacht einen „leaky gut“ auch über einen anderen Mechanismus: Die damit assoziierte Insulinresistenz bedingt eine Hyperglykämie – und diese bewirkte bei Mäusen eine messbare Barrierestörung.5 Eine Humanstudie weist in dieselbe Richtung: Bei Adipösen mit metabolischem Syndrom war die intestinale Permeabilität erhöht. Die Ausprägung korrelierte mit dem Grad der Steatose in der Leber, Insulinresistenz und anderen Markern für Stoffwechselstörungen, wie dem C-reaktiven Protein.6

 

Kurzkettige Fettsäuren als Schutzfaktor

So wie Über- und Fehlernährung einen „leaky gut“ fördern, kann die mediterrane Diät die Darmbarriere stärken – und damit einer NAFLD vorbeugen bzw. diese auflösen. Studien belegen, dass ein mediterraner Speiseplan mit viel Gemüse, Hülsenfrüchten, Obst, Nüssen, Olivenöl, Fettfischen, aber wenig rotem Fleisch und Süßwaren bei NAFLD die Steatose reduziert, die Insulinsensitivität verbessert und das Körpergewicht senkt.7

Doch welche Komponenten der mediterranen Diät vermitteln den Barriereschutz? Eine aktuelle klinische Studie zeigt: Die Ballaststoffe spielen eine Schlüsselrolle. Bei ihrem Abbau durch die Mikrobiota entstehen kurzkettige Fettsäuren wie Propionat und Butyrat, die Epithelzellen als Nährstoff dienen, gleichzeitig aber auch als antiinflammatorische Signalmoleküle fungieren.

An der Studie nahmen 260 Frauen mit genetisch bedingtem Brustkrebsrisiko teil, das grundsätzlich mit einem „leaky gut“ einhergeht. Unter einer mediterranen Diät über drei Monate stiegen die Konzentrationen kurzkettiger Fettsäuren im Stuhl, während die Werte für die Permeabilitäts-Biomarker Plasma-LBP und fäkales Zonulin signifikant sanken. Allerdings war das Ansprechen auf die Diät individuell verschieden. Die Verbesserung der Barriere hing von der Fähigkeit des Darms ab, ausreichend kurzkettige Fettsäuren zu produzieren. Dabei handelt es sich um einen kausalen Zusammenhang, der vor allem durch Propionat und Butyrat vermittelt wird.8

 

Fazit für die Praxis

Als starker Prädiktor für das individuelle Ansprechen auf die mediterrane Diät erwies sich die fäkale Butyratkonzentration. Sie könnte künftig als Screening-Parameter genutzt werden, um Patienten und Patientinnen zu identifizieren, die von der Diät besonders profitieren.

 

Literatur:

1 Bischoff SC et al. BMC Gastroenterol. 2014; 14: 189.

2 Seethaler B et al. Am J Physiol Gastrointest Liver Physiol. 2021; 321(1): G11-G17.

3 Spruss A et al. Hepatology. 2009; 50(4): 1094-104.

4 Volynets V et al. J Nutr. 2017; 147(5): 770-80.

5 Thaiss CA et al. Science. 2018; 359(6382): 1376-83.

6 Damms-Machado A et al. Am J Clin Nutr. 2017; 105(1): 127-35.

7 Ryan MC et al. J Hepatol. 2013; 59: 138-43.

8 Seethaler B et al. Am J Clin Nutr. 2022; 116(4): 928-42.

Bild-Quelle: © privat

Aus: Newsletter 1/2023, Hamburger Expertenkreis Mikrobiom (Initiative der FERRING Arzneimittel GmbH)