Alkoholproduzierende Darmbakterien: Können sie Leberschäden verstärken?

Prof. Dr. Max Nieuwdorp

Die Mikrobiota kann große Mengen Alkohol produzieren. Schädigt das die Leber und triggert die Progression von NAFLD? Neue Erkenntnisse berichtet Prof. Dr. Max Nieuwdorp, Universität Amsterdam.

 

Eigentlich sollte man meinen, dass Alkohol bei der nicht-alkoholischen Fettlebererkrankung keine Rolle spielt. Ein Trugschluss, wie eine Studie der Universität Amsterdam nahelegt: Die Darmmikrobiota kann erhebliche Mengen an Alkohol produzieren, die über die Pfortader zur Leber gelangen. Weil der Alkohol weitgehend in der Leber abgebaut wird, ist er im peripheren Blut aber kaum messbar.1 Dieses Phänomen wird First-Pass-Effekt genannt und wurde bereits 1970 von dem deutschen Mediziner Hans Krebs entdeckt.2

Unklar ist, ob und wie stark die mikrobielle Alkoholproduktion die Leber schädigt. Hinweise kamen 2020 von einer chinesischen Studie. Mikrobiota-Analysen von Personen mit NAFLD (n=43) ergaben, dass 60 % Spezies von Klebsiella pneumoniae beherbergen, die beim Abbau von Zucker viel Alkohol produzieren. Dagegen waren diese Bakterien nur bei 6 % der gesunden Kontrollen (n=48) nachweisbar. Ein Transfer der Klebsiella-Spezies in keimfreie Mäuse führte bei diesen nach einem Monat zur Entwicklung einer Fettleber, nach zwei Monaten kam es zur Narbenbildung. Die Gabe eines Antibiotikums, das Klebsiella pneumoniae abtötete, verbesserte den Zustand der Versuchstiere.3

 

Hohe Alkoholwerte im Portalblut

Für die neue Studie rekrutierte das niederländische Forschungsteam 146 Patientinnen und Patienten der BARIA-Studie, bei denen die Effekte der Mikrobiota auf das klinische Ergebnis eines bariatrischen Eingriffs untersucht werden, u. a. in Bezug auf NAFLD. Die Alkoholkonzentration wurde im peripheren Blut gemessen – nüchtern und postprandial zwei Stunden nach einer Mahlzeit mit Fruktose und anderen Zuckern. Bei einer Subgruppe (n=37) wurde während der Operation zusätzlich Portalblut entnommen und der Alkoholgehalt bestimmt. 14 Personen dieser Subgruppe waren gesund, 18 hatten eine NAFLD und 5 eine NASH. Die Ergebnisse wurden anhand einer externen Gruppe validiert.1

Die zuckerhaltige Mahlzeit stimulierte die endogene Alkoholproduktion: Im Vergleich zu den Nüchternwerten im peripheren Blut war die Konzentration im Portalblut 187-mal höher. Die Werte stiegen mit dem Grad der Leberschädigung, von 2,1 mM bei Gesunden ohne Steatose auf 8,0 mM bei Steatose und 21 mM bei NASH. Als relevante Alkoholbildner in der Mikrobiota erwiesen sich Streptokokken und Lactobazillen im Dünndarm: Ihre Abundanz korrelierte mit dem Grad der NAFLD und war bei Personen mit NASH am höchsten.

Weitere Einblicke in die Darm-Leber-Achse brachte eine Intervention bei 10 NASH-Patientinnen und -Patienten. Die Forschenden stimulierten die mikrobielle Alkoholproduktion mit einer zuckerhaltigen Mahlzeit und blockierten dessen Abbau anschließend mit Fomepizol, einem spezifischen Inhibitor der Alkohol-Dehydrogenase (ADH). Dadurch stieg der Spiegel im Plasma massiv an. Die endogene Alkoholbildung betrug bis zu 100 g pro Tag – das entspricht etwa dem Gehalt einer halben Flasche Whisky. Zum Vergleich: Bei den 10 gesunden Kontrollen produzierte die Mikrobiota bis zu 7,2 g Alkohol pro Tag; etwa so viel wie in anderthalb Flaschen Bier. Die Gabe von Antibiotika verhinderte den Anstieg von Alkohol im Blut.1

 

Fazit für die Praxis

Es ist denkbar, dass mikrobieller Alkohol bei manchen Menschen zur Progression von NAFLD beiträgt. Ein Therapieansatz könnte die Ausschaltung Alkohol-produzierender Bakterienstämme sein.

 

Literatur:

1 Meijnikman S et al. Nature Medicine. 2022; 28(10): 1-7.

2 Krebs HA, Perkins JR. Biochem J. 1970; 118: 635-44.

3 Yuan J et al. Cell Metab. 2019; 30: 675-88.

 

Bild-Quelle: privat

Aus: Newsletter 1/2023, Hamburger Expertenkreis Mikrobiom (Initiative der FERRING Arzneimittel GmbH)